Eine neue Forschungsstudie des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie in Köln wollen wir dem geneigten Leser nicht vorenthalten.
Hintergrund
In der Vergangenheit wurde mehrfach untersucht, ob spannend verlaufende Sportereignisse für die Zuschauer zu einer erhöhten Rate an Herzinfarkten beziehungsweise kardio-vaskulären Ereignissen führt. Insbesondere wurde das auch für die Spiele der Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2006 in Deutschland untersucht – und für die Region München konnte dies sogar bestätigt werden. (1)
Es stellt sich nun die Frage, ob nur Zuschauer in der Region München oder aber im gesamten Bundesgebiet bei spannungsgeladenen Spielverläufen der Gefahr von Herzinfarkten ausgesetzt sind. Denkbar wäre, dass Münchner Zuschauer besonders anfällig für Herzinfarkte sind, da sie spannende Spielverläufe, bei denen der Spielgegner durchaus gewinnen kann, nicht gewohnt sind.
Methode und Ergebnisse
Wir untersuchten alle kardio-vaskulären Ereignisse während des Zeitraumes der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland zu einer stationären Aufnahme führten. Einbezogen wurde die Gesamtzahl aller akuten kardiovaskulären Ereignisse. Die verschlüsselten Diagnosen umfassten konkret folgende fünf Diagnosen: Angina Pectoris, Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand und Kammerflimmern.
Grundlage der Auswertung bildete ein Versichertenkollektiv von bundesweit 7,2 Millionen Versicherten, das weitgehend als repräsentativ gelten kann. Aus früheren Studien war bekannt, dass kardio-vaskuläre Ereignisse immer in typischen wöchentlichen Verläufen eintreten. Dies gilt sowohl für Deutschland, als auch für andere Industriestaaten (2,3,4). Demnach zeigen insbesondere die Montage erhöhte Fallzahlen für Herzinfarkte. Untersucht wurde nun, ob sich das typische wöchentliche Muster durch die Fußballspiele der Weltmeisterschaft änderte.
Auch für die Wochen der Fußballweltmeisterschaft zeigten sich die typischen wöchentlichen Abläufe. Es konnten keine erhöhten Werte für die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen an Spieltagen oder dem Tag nach Spielen fest gestellt werden. Vielmehr ergab sich sogar ein signifikant niedrigeres Auftreten von Ereignissen an Tagen mit Spielen deutscher Beteiligung (standardisiertes Inzidenzverhältnis von 0,85; 0,95% Konfidenzintervall: 0,727-0,988). Dies bedeutet, dass nur 85% der zu erwartenden Krankheitsfälle auftraten. Die roten Punkte 1 bis 7 auf der Abbildung zeigen die entsprechenden Spieltage an. Punkt 8 zeigt das Endspiel. Die gelben Punkte markieren jeweils den Montag, an dem im langfristigen Mittel eine höhere Rate an Ereignissen bereits als gesichert gilt.Diskussion
Hohe oder niedrige Raten an kardiovaskulären Ereignissen im Verlauf der Fußballweltmeisterschaft können mit den üblichen Schwankungen im Wochenverlauf erklärt werden. Im Durchschnitt traten an Tagen mit deutscher Beteiligung sogar weniger Ereignisse als erwartbar auf. Weshalb aber traten nun im Raum München bei der Fussballweltmeisterschaft 2006 dennoch gehäuft kardiovaskuläre Ereignisse auf (1)?Mehrere Begründungen sind möglich:
• Erstens wurden dort zwei der Spiele unmittelbar vor Ort ausgetragen, was zu höherer innerer Beteiligung der dortigen Wohnbevölkerung führen kann.
• Zweitens sollte geprüft werden, ob die einbezogenen Studienzentren eventuell nicht repräsentativ waren, da sie während der Spieltage womöglich Arbeitslast von anderen Behandlungszentren übernehmen mussten.
• Drittens schließlich kann es sein, dass die Münchner Wohnbevölkerung besonders anfällig ist für kardiovaskuläre Ereignisse bei spannungsgeladenen Verläufen von Fußballspielen. Ein überregionaler Fußballverein, welcher in der Stadt München beheimatet ist, gewann 6 von 10 Meisterschaften der Fußballbundesliga in der Dekade vor der Weltmeisterschaft 2006. Der dortigen Bevölkerung kann daher ein spannungs-geladener Spielverlauf, bei dem der Sieg nicht unmittelbar absehbar ist, besonders zusetzen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus München auf ganz Deutschland ist daher insgesamt fraglich. Für die deutsche Gesamtbevölkerung außerhalb der Region München besteht kaum ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse durch spannungsgeladene Sportveranstaltungen. Zuschauer in der Region München sollten jedoch eventuell Spiele nicht verfolgen, sofern es spannend wird.
Der listige Ewald
PS: Nur für Jan von Liv hier noch die Referenzen für die eventuell notwendige Tiefen-Recherche:
Referenzen
(1) Wilbert-Lampen U, Leistner D, Greven S, Pohl T, Sper S, Völker C, Güthlin D, Plasse A, Knez A, Küchenhoff H, Steinbeck G. Cardiovascular events during World Cup soccer. NEngl J Med. 2008;358:475-83.
(2) Willich SN, Löwel H, Lewis M, Hörmann A, Arntz HR, Keil U. Weekly variation of acute myocardial infarction. Increased Monday risk in the working population. Circulation. 1994;90:87-93.
(3) Van der Palen J, Doggen CJ, Beaglehole R. Variation in the time and day of onset of myocardial infarction and sudden death. N Z Med J. 1995;108:332-4.
(4) Kostis WJ, Demissie K, Marcella SW, Shao YH, Wilson AC, Moreyra AE; Myocardial Infarction Data Acquisition System (MIDAS 10) Study Group. Weekend versus weekday admission and mortality from myocardial infarction. N Engl J Med. 2007;356:1099-109.